Es war wohl alles ein bisschen viel auf einmal: Eine richtig schöne Geschichte sollte es werden, mit komplexen Charakteren, mit Tiefe und Anspruch. Und sie sollte schnell fertig werden, weil man als Profi-Autor ja schön brav jeden Tag eine gewisse Anzahl an Stunden an seinem Text arbeitet, so wie andere Leute im Büro ihre Exceltabellen bearbeiten, Stunde um Stunde, und wenn es mal klemmt, fragt man einen Kollegen, und weiter geht’s. Also habe ich schon mal vorsorglich auf allen Kanälen verkündet: „Das neue Buch kommt bald.“ Ich dachte, der Druck, den ich mir damit selber machte, würde mich vom Trödeln abhalten.
Aber so funktioniert das nicht. Jedenfalls nicht bei mir. Ich saß zwar auch Stunde um Stunde am Rechner, und irgendwie entstand dabei sogar eine Geschichte, rund 200 Seiten bislang. Aber ich war nicht richtig bei der Sache. Da war ein innerer Widerstand, der mich an manchen Tagen mit regelrechtem Widerwillen an die Arbeit gehen ließ. Und ich merkte auch, dass etwas mit den Figuren nicht stimmte. Sie erfüllten mein Herz nicht, lebten in meinem Inneren nicht wie liebgewordene Freunde, sondern blieben seltsam blass.
„Das wird schon“, sagte ich mir immer wieder und zwang mich Tag für Tag aufs Neue an den Schreibtisch. Ich überarbeitete alte Szenen und schrieb neue, überarbeitete wieder und hatte doch nicht das Gefühl, voranzukommen. Schließlich stellte ich fest: Freundliches Zureden („Prima, das waren heute 98 Wörter – 7 mehr als gestern!“) oder Antreiben („Los jetzt, du Lusche, andere haben das auch geschafft!“) halfen genauso wenig wie die Ermutigungen meiner Lektorin („Jetzt ist es schon viel besser.“) und die 137 Tipps gegen Schreibblockaden, die man in jedem Ratgeber findet.
Was hingegen wirklich half: Die Kritik zweier Testleserinnen, die mir unverblümt klarmachten, dass man sogar beim Lesen merkt, wie sehr ich mit der Geschichte ringe. Im ersten Moment war ich total geplättet und hätte das Manuskript am liebsten in die Tonne getreten – und mich gleich mit. Dann sickerte langsam eine Erkenntnis nach der nächsten durch. Die Geschichte hat einen schönen Plot, aber den falschen Erzählton. Außerdem blockiere ich mich selbst, wenn ich meine eigenen Ansprüche derart hochhänge, dass ich sie nie erreichen werde.
Die Soforttherapie sah so aus: Ich habe das Manuskript zur Seite gelegt und bewusst entschieden, dass ich ihm eine Ruhepause zum Reifen gönnen muss. Ein paar Wochen oder Monate, vielleicht gar Jahre. So mache ich das normalerweise immer, wenn ich feststecke, und bislang tat jeder Geschichte diese Pause enorm gut. Diesmal hatte ich aber gar keine Ruhephasen eingeplant, weil ich mir einbildete, die bräuchte ich als hauptberufliche Autorin nicht mehr, weil ich ja genug Zeit hatte, um Tag für Tag immer wieder an den kniffligen Stellen herumzudoktern. Was für ein Irrtum!
Keine halbe Stunde, nachdem ich diese Entscheidung getroffen hatte, sprang mich quasi von einer Sekunde auf die nächste die Idee für eine neue Geschichte an. Ich hatte noch nie über dieses Thema nachgedacht, es war etwas vollkommen Neues, das wie aus dem Nichts auftauchte und mich nicht mehr losließ. Ich schrieb augenblicklich den Plot auf und machte mich noch am selben Abend an die erste Szene. Seitdem schreibe ich Tag und Nacht. Ich muss mich nicht dazu zwingen, es geschieht ganz von alleine.
Diese Geschichte ist etwas völlig anderes als das, was ich geplant und meinen Lesern versprochen hatte. Genau genommen ist sie anders als alles, was ich je geschrieben habe. Aber hier funktioniert, was bei der ersten Geschichte nicht geklappt hat: Ich bin mit Begeisterung dabei. Die Figuren leben in mir und werden darum auch beim Schreiben lebendig. Warum? Weil ich mir keinen Druck mache. Weder in Bezug auf den Veröffentlichungstermin, noch bezüglich des Anspruchs. Die Geschichte ist seicht. Und kitschig. Und banal. Manch einer wird den Kopf schütteln und fragen: Wie konnte sie nur? Aber ich liebe diesen kleinen Roman jetzt schon. Und das ist das Wichtigste, um ihn aufschreiben zu können.
Was ich daraus gelernt habe? Es gibt eine Million Wege, einen Roman zu schreiben – ungefähr so viele, wie es Autoren gibt. Nein, sogar noch mehr: So viele, wie es Geschichten gibt. Denn es ist jedes Mal anders. Manchmal wird das eine Sturzgeburt und der Roman ist innerhalb weniger Wochen auf der Welt. Manchmal liegt man aber auch ziemlich lange in den Wehen und braucht schon mal ein paar Jahre (inklusive sehr ausgedehnter Pausen), bis das Baby endlich da ist.
Ich bin keine Fließbandautorin, kann mich nicht jeden Morgen um neun an den Schreibtisch setzen und nachmittags um fünf den Rechner ausschalten und befriedigt sagen: „Tagesziel erreicht.“ Ich brauche dieses gewisse Feuer, das mich antreibt. Und wenn das fehlt, dann nützt aller Zwang nichts, im Gegenteil, dadurch wird es nur noch schlimmer. Der „Ebbe und Glut“-Nachfolger lässt also noch ein Weilchen auf sich warten. Stattdessen wird es eine kräftige Portion Herzschmerz geben. Ob ich dazu stehe oder mich hinter einem Pseudonym verstecke, weiß ich noch nicht. Nur, dass ich diese Geschichte unbedingt erzählen muss. Jetzt sofort.
Danke für diesen Artikel! Er berüht ein Thema, das mich auch schon länger umtreibt, den Mythos des „professionellen Fließbandautors“. Das ist der Autor, der alles im Griff hat, der dank Software seine Geschichte perfekt überblickt und punktgenau sein Manuskript abliefert.
Ich glaube, den gibt es nicht. Schreiben funktioniert so nicht und unser ganzes Leben funktioniert so nicht. Wir sind immer Bewusstsein und Unbewusstsein und vieles von dem, was wir tun, denken und fühlen, können wir uns nur schwer steuern. Und vieles von dem, was beim Schreiben entsteht, können wir nicht voraussagen, nicht planen und schon gar nicht durch unseren bloßen Willen beeinflussen…
Dass das so ist, ist aber eigentlich genial. Ist es nicht genial, dass wir bestimmte Dinge nicht erzwingen können? Dass uns Ideen wie Blitze treffen können oder eben nicht? Ist es nicht genial, dass von uns nicht mehr verlangt wird, als offen zu sein für den Moment, für das, was in uns entsteht, für die Geschichten, die wirklich erzählt werden wollen?
Liebe Grüße, Franziska
Gestern fragte mich ein Freund, wie ich es schaffe, in kreative Prozesse einzusteigen und ob ich das irgendwie fördern könne. Ich breitete mein ganzes Dilemma vor ihm aus und sagte abschließend: „Wenn ich den heiligen Gral gefunden habe, sage ich dir Bescheid.“
Ja, es ist genial, dass man gewisse Dinge nicht erzwingen kann, dass sich nicht alle Arbeitsprozesse planen und steuern lassen. Gleichzeitig ist es aber auch förderlich, ein bisschen Bescheid darüber zu wissen, wie man auch auf Abruf in kreatives Arbeiten einsteigen kann. Denn wenn man vom Schreiben leben will, geht die Rechnung nicht auf, dass man fünf Jahre an einem Manuskript arbeitet – es sei denn, man verdient mit jedem Buch so viel, dass es für fünf Jahre reicht. 😉 Das Planen und Steuern ist übrigens keine Erfindung unserer Zeit. Schon Autoren wie Thomas Mann waren höchst diszipliniert bei der Arbeit. Ich weiß nicht, ob das eher eine Typfrage ist oder ob es sich tatsächlich trainieren lässt.
Ja, das stimmt, es hilft auf jeden Fall, wenn man weiß, was einem den Einstieg ins kreative Arbeiten erleichtert… welche Stimmungen man nutzen kann, welche Rahmenbedingungen es braucht etc…
Mich interessiert, was du über Thomas Mann schreibst. Kannst du das ein bisschen ausweiten? Dass die Sache mit dem Planen und Steuern keine Erfindung unserer Zeit ist… das finde ich spannend… ob das so ist, oder nicht. Ich habe schon das Gefühl, dass in vielen Blogs und Foren die Idee des ökonomisierten Autors spukt und dass viele dieses Ideal feiern und sich daran orientieren – auch wenn sie selbst noch nie mit dem Schreiben Geld verdient haben. Hast du noch Gedanken dazu?
Mir fehlt jetzt ein wenig die Zeit, um tiefer in das Thema einzutauchen – vielleicht mal eine schöne Idee für einen neuen Blogtext. Nur so viel: Über Thomas Mann ist bekannt, dass er ein sehr akribischer Arbeiter war, der jeden Tag zur selben Zeit am Schreibtisch saß. Auch viele andere Autoren haben das so gemacht oder machen es so: feste Zeiten und andere feste Regeln, manchmal sogar feste Vorgaben, wie viel man pro Tag schaffen muss. Und in vielen Schreibratgebern wird das auch empfohlen, mit dem Argument, die Regelmäßigkeit fördere den kreativen Prozess. Bei mir funktioniert es nicht, bei anderen offenbar doch.
Auf die Schnelle habe ich eben diesen Artikel entdeckt – das Thema ist zwar ein etwas anderes, aber einige anregende Gedanken zum Schöpfungsprozess sind da schon zu finden.
http://www.welt.de/print/die_welt/wissen/article13806966/Kreative-arbeiten-am-Rand-des-Wahnsinns.html